Fernsehen    28.0 5.1995

  "Sehen statt hören"

Höfgen bei Leipzig

Bildschirm - Text :

Manfred Mertz ; Der Baum auf diesem Bild (siehe rechts) symbolisiert den menschlichen Körper. 

Wenn ein Kind gehörlos geboren wird, sind seine Eltern oft ratlos. Sie haben Angst vor der Gehörlosigkeit 

und wollen nicht, dass das Kind gebärdet. In der Schule wehrt sich sich das Kind gegen Zwänge und 

wird enttäuscht. Dagegen protestiere ich, gehörlose Kinder sollen sich frei entfalten können - wie ein Baum mit seinen Ästen. 

Man darf die Äste nicht abschneiden! Man muss ihre eigene Kultur schützen und ihnen die Gebärdensprache lassen!

 Das wollte ich  mit diesem Bild des geteilten Baumes ausdrücken.

 

 

Sehen statt Hören

Fernsehen    15.10.1993

"Sehen statt hören"

Hamburg

Das Bild links heißt "Tanz der Delphine"

 

Manfred Mertz: Diese Farben drücken ein sehr schönes Gefühl aus, das ich im Urlaub hatte. Das tut mir gut, 

wenn ich am Arbeitsplatz in der Firma sitze.  Ich habe intensive Wahrnehmungen. Ich höre nichts. 

  Ich muss mehr mit den Augen sehen und in mich aufnehmen. Das ist wie Musik!  Da ist das Gefühl des Meeres, 

der Wellen und wie der Wind die Wellen treibt. Dann der grelle Blitz und Donner, die Delphine und der Mond, ganz nahe. 

  Das ist ein starkes Gefühl! Gehörlose sind nicht teilnahmslos.

Ich nehme die Wunder der Welt dankbar in mich auf.  Dann bin ich Mensch! Mich interessiert, wie der Mensch aufblüht

 und vergeht.  Wenn ich schon nicht höre, will ich mehr sehen für Gehörlose!

 

 

 

 

 

Interview mit Manfred Mertz

 

Interviewer:  Frau B.       Ist MM bereits gehörlos auf die Welt gekommen? Wie verlief seine Kindheit?

MM:          Ja, ich bin bereits gehörlos auf die Welt gekommen. Meine Eltern sind jedoch hörend. Mein Bruder, der auch gleichzeitig mein Zwillingsbruder ist, ist auch gehörlos geboren. Meine ersten beiden Geschwister, in dem Fall Schwestern, können beide hören. Zuerst besuchte ich die Gehörlosenschule in Schwäbisch-Gmünd, danach habe ich nach Heilbronn gewechselt. Nach Abschluss meiner Ausbildung zum Textilmaschinenführer wurde ich bei der Firma DaimlerChrysler AG in Wörth als Montagearbeiter tätig und verrichte diese Tätigkeit auch heute noch sehr gerne.

 

Interviewer:   Frau B.     Warum trägt MM immer Schwarz?

MM:       Das hat zum einen mit dem Stil eines jeden Menschen zu tun. Der eine trägt gerne Schmuck, ein anderer trägt  gerne Kopfbedeckungen und MM trägt gerne Schwarz. Zum anderen hat es den Hintergrund,  dass ich ja noch 

                  einen Zwillingsbruder habe. Um uns besser auseinanderhalten zu können, trage ich mit Vorliebe schwarze Kleidung.

 

 

Interviewer:  Frau B.       Wie kam MM zur Malerei?

     MM:        Bereits als Kind habe ich leidenschaftlich gerne gemalt, auch in der Schule. Schon der Lehrer war damals fasziniert und hat mich quasi beauftragt, für ihn zu malen. Dafür wurde ich dann mit Gutscheinen oder geringem Entgeld entlohnt. In meiner Kindheit wurden mir sogar das ein oder andere Mal Bilder gestohlen. So kam ich anfangs zur Malerei. Mein Vater war Maler von Beruf, nicht jedoch im künstlerischen Bereich. Doch schon damals hat es mich das Mischen von verschiedenen Farben und der Geruch der Farben fasziniert. Wäre ich nicht gehörlos auf die Welt gekommen, hätte ich heute vielleicht eine andere Leidenschaft – wer weiß. Vielleicht wäre ich leidenschaftlicher Musiker geworden oder hätte mich in einem anderen künstlerischen Bereich ausgetobt. Doch dieser Bereich bleibt einem Gehörlosen etwas verschlossen und die Kunst ist stark visuell ausgerichtet und deshalb passt sie zu mir und hat meinen Weg stark geprägt.

 

Interviewer:  Frau B.       Mit welchen Techniken arbeitet MM?

 MM:            Angefangen habe ich mit der Airbrush-Technik. Das wandelte sich, heute arbeite ich fast ausschließlich mit Ölfarben. Das hat den Grund, dass man nicht so sehr von der Technik abhängig ist und es lässt sich einfacher mit den Farben arbeiten. Auch mein Stil lässt sich durch die Möglichkeit, wie man Ölfarben mischt und welche Ergebnisse damit erzielt werden können, besser umsetzen.

 

 

 

Interviewer:  Frau B.        Wie erklärt sich der Stil von MM?

 

MM:           Meine Bilder spiegeln zum Teil meine Seele wieder. Harmonie drückt sich in farbintensiven und runden Malereien 

     wieder und Trauer in schwarzweißen Bildern mit Ecken und Kanten. Die Grundelemente Feuer, Wasser, 

            Erde und Luft sind immer Bestandteil meiner Bilder, sowie der Mensch, der durch seine Natürlichkeit zeitlos

 erscheint.

 

 

 

Interviewer:  Frau B.      Wodurch unterscheidet sich die Kultur bei Ausstellungen von Gehörlosen bzw. Hörenden?

     MM:      Grundsätzlich gehen Gehörlose untereinander, auch wenn sie sich persönlich nicht kennen, lockerer um und duzen sich von vornherein. Das liegt an einem gewissen familiären Gefühl, das unter Gehörlosen herrscht, da sie eine Minderheit sind. Aufgrund dessen bin ich in der Welt der Gehörlosen auch bereits mit meiner Kunst bekannt und habe sowohl in der Vergangenheit als auch heute sehr oft in den kulturellen Kreisen von Gehörlosen ausgestellt.In den kulturellen Kreisen der Hörenden wiederum ist es schwieriger, Möglichkeiten zu finden, auszustellen. Das mag zum einen an der großen Vielfalt von Künstlern liegen, die es dort gibt und den damit verbundenen wenigen Ausstellungsmöglichkeiten. Wobei ich sagen muss, dass auch im kulturellen Kreis der Hörenden das Interesse an meiner Kunst immer weiter steigt. Schade, dass es manchmal nur an sogenannten „Kleinigkeiten“ wie Zeit oder Organisation scheitern muss. Wenn ich mich für eine „hörende“ Ausstellung bewerbe, wünsche ich mir auch, dass man mich als Künstler akzeptiert und nicht in erster Linie den behinderten, gehörlosen Menschen sieht. Denn auch die kommunikative Barriere lässt sich ohne weiteres, beispielsweise durch einen Dolmetscher beseitigen, den ich oftmals bei Gesprächen dabei habe.

 

Interviewer: Frau B.       Wie kommt es, dass MM manchmal Prominente auf den Ausstellungen trifft?

   MM:            Das Interesse an Kunst wird ja oftmals durch Publikationen in Medien oder durch sogenannte „Mundpropaganda“ verbreitet. Und so passiert es beispielsweise, das ich Einladungen für Ausstellungen bei größeren Veranstaltungen im In- und Ausland erhielt. Dadurch traf ich das ein oder andere Mal auf prominente Gäste. Ein besonderes Erlebnis hierbei war für mich beispielsweise, als ich eine Einladung aus dem Königshaus Schweden erhielt und Königin Silvia kennen lernen durfte.

 

Interviewer: Frau B.        Gibt es Menschen, die auf MM neidisch sind?

MM:            Vielleicht. Falls ja, muss man sich ein sogenanntes „dickes Fell“ anlegen. Die Menschen müssten wissen, dass das Künstlerdasein natürlich auch seine Schattenseiten hat. Ich bin in Vollzeit beschäftigt und opfere der Kunst meine ganze Freizeit. Bei der ganzen Freude, die ich an der Kunst habe, habe ich andererseits auch manchmal sehr großen Druck. Es bringt doch nichts, neidisch auf so jemanden wie mich zu sein. Lieber sollte man diese negative Energie in positive umwandeln und selbst eine Leidenschaft für sich finden und darin aufgehen oder auch nicht.

 

Interviewer: Frau B.       Wie sieht die Zukunft von MM aus?

MM:          Natürlich werde ich weiterhin meiner Kunst treu bleiben. Des weiteren würde ich gerne einen Film von und für Gehörlose machen. Doch mehr möchte ich dazu noch nicht verraten.

 

 

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